Eine Überraschung

Geschrieben am 17. Mai 2013 von

Eines Tages meint Sabine zu mir, ich müsse mir Ende April einige Tage Urlaub nehmen, weil sie mit mir einen Kurzurlaub in der Umgebung von Toronto plant. Da das ganze eine Überraschung wird, darf ich auch nicht fragen, wohin es gehen soll. Auch noch so trickreiches Nachfragen bringt in den darauf folgenden Wochen keinen Hinweis, wohin es gehen soll. Am Abend vor der geplanten Abfahrt teilt sie mir immerhin mit, dass wir die Fahrräder mitnehmen. Also schraube ich den ganzen Abend an den Fahrrädern herum (Bremsen wechseln, Winterreifen gegen Sommerreifen austauschen und Schrauben nachziehen), während Sabine alles Nötige zusammenpackt.

Am nächsten Morgen, dem Abfahrtstag, als wir gerade fertig sind mit Frühstücken, kommt jemand bei uns in das Haus herein. Ich denke zuerst, dass es ein Freund von einem Mitbewohner ist und beachte ihn nicht besonders. Als er aber im Flur verunsichert stehen bleibt, frage ich ihn, ob er neu angekommen sei, da am Tag vorher gerade ein Mitbewohner ausgezogen ist. Er antwortet mit „Yes“, setzt seine Regenbogensonnenbrille ab und ich erkenne ihn als einen sehr guten Freund aus Leipzig! Er kommt gerade aus San Francisco und hat auf dem Rückweg nach Deutschland einen Zwischenstopp in Toronto eingelegt. WOW, was für eine Überraschung! Wir fahren also nicht zu zweit, wir fahren zu dritt mit dem Rad. Danach verrät mit Sabine, dass es zu den Niagarafällen gehen soll.

Die Niagarafälle liegen zwischen dem Eriesee und dem Ontariosee. Beide Seen verbindet der Niagarafluss, der der Abluß des Eriesees und der Zufluss des Ontariosees ist. Den Höhenunterschied von 100 m, der zwischen den beiden Seen besteht, überwindet das Wasser an den Niagarafällen. Für die Schifffahrt sind die Fälle verständlicherweise unbefahrbar, weshalb vor 70 Jahren der Wellandkanal gebaut wurde, der parallel zum Niagarafluss die beiden Seen über mehrere Schleusen verbindet. Unsere Radtour startet am Ontariosee, an dem auch Toronto liegt. Sie führt uns den Wellandkanal entlang, bis zum Eriesee und dann am Niagarafluss flussabwärts bis zu den Niagarafällen.

Kurz nach dem Hallo-Sagen müssen wir auch schon los. Zuerst fahren wir mit dem Zug und dann mit dem Bus bis zum Wellandkanal. Dort leihen wir ein drittes Fahrrad für unseren Freund aus und starten zu unserer ersten Etappe. Die ersten Kilometer am Kanal sind wunderschön, wäre da nicht der Gegenwind, der das Vorrankommen erschwert. Nach ungefähr einem Drittel der Strecke endet der Weg überraschend in einer Baustelle und wir müssen eine Umleitung über Landstraßen fahren. Der Gegenwind bläst dort nicht weniger und wir kämpfen uns mühsam voran. Die erste Pause legen wir ein, als Sabine sich ein kleines, spitzes Metallteil in das Hinterrad fährt und wir den Reifen flicken müssen. Zu allem Überfluss fängt es jetzt auch noch an zu regnen, sodass wir den Reifen in Rekordzeit austauschen. Trotzdem dauert es noch bis zum Einbruch der Dämmerung, bis wir müde und durchgefroren am Motel ankommen. Wir kochen in der Dunkelheit, dank unseres Campingkochers, vor unserer Zimmertür einen großen Topf Nudeln, der nach so einem Tag gleich doppelt gut schmeckt.

Der nächste Tag entschädigt uns reichlich für die überstandenen Strapazen. Mit Rückenwind geht es bei schönstem Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen immer geradeaus, unserem Ziel entgegen. Wir erkunden das Ufer des Eriesees, bewundern die Skyline des in den USA liegenden Buffalos, das an der Mündung des Niagaraflusses am Eriesee liegt, und freuen uns auf die Niagarafälle. Das erste Zeichen sind die Hotels, die direkt an den Fällen gebaut sind und schon von Weitem zu sehen sind. Dann wird das Wasser des Flusses immer schneller und kräftiger. Wir kommen an einem verrosteten Wrack vorbei, das verlassen auf einer Felseninsel festhängt und wohl seine eigene Geschichte zu erzählen hat. Bald sehen wir die charakteristische Wasserdampfwolke in den Himmel steigen und schließlich erreichen wir die Fälle selber. Was für ein Abschluss der zweitägigen, 110 km langen Fahrradtour!

Route

Unsere gefahrene Route ist grün dargestellt. Der Eriesee liegt im Süden, der Ontariosee im Norden.

Am nächsten Morgen fahren wir nach Toronto zurück, zeigen dem Freund noch die Innenstadt und verabschieden ihn zum Flughafen. Dabei erfahre ich, dass diese Überraschung über Monate geplant war. Er hat sogar unsere Sommerklamotten aus Deutschland mitgebracht und nimmt die Sachen, die wir nicht mehr brauchen, mit.

PS: 3 kg Übergepäck (23 kg Gepäck von 20 kg Maximalgewicht) ist bei der Lufthansa offensichtlich kein Problem. Es wird einfach auf 20 kg abgerundet.